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  • Igor Kamens

Trauen

Was beutetet es den Großteil seines Alltags und seines kompletten Lebens selber zu gestalten?

Ist es nicht unser aller Wunsch?

An einem Montag aus dem Bett zu steigen und zu wissen heute mache ich das worauf ich Lust habe! NICHT weil ich heute frei habe und morgen wieder arbeiten muss. NICHT weil ich mir extra Urlaub eingetragen habe und mein Chef mir lustlos den Antrag unterschrieben hat. NICHT weil heute Samstag ist und ich mich eigentlich von der schweren fünf Tage Woche im Büro, auf dem Bau oder in einem Werk erholen muss.

Ich muss kein schlechtes Gewissen haben, dass ich einen der wenigen Urlaubstage verschwende, nur weil ich denke, ich brauche mal eine Auszeit!

NEIN!!!

Heute ist ein Montag, MEIN erster Montag in Teilzeit!

Viele werden sich jetzt denken: "Ja toll, wir hätten jetzt aber etwas Spektakuläreres erwartet."

Doch eins lasst euch gesagt sein! Stellt euch mal vor ihr hättet für immer die ersten zwei Tage in der Woche frei und euer Arbeitsleben würde nur noch aus drei Tagen bestehen?

Faszinierend oder?

Das ist weniger als die Hälfte der Woche! Das bedeutet das ihr an vier Tagen, also in mehr als der Hälfte eures Lebens das tun könnt worauf ihr Lust habt!

Was gibt es spektakuläreres als sich so etwas zu trauen?

„Trauen“ ist nämlich in dem Zusammenhang mit dem kleinen Wort „Teilzeit" etwas sehr Bedeutsames, denn natürlich hängen damit viele Entbehrungen und Ängste zusammen, die man für sich reflektieren und durchdenken muss.

Bevor ich überhaupt auf die Idee und diese Möglichkeit gekommen bin, hatte ich im Grunde nur eine Perspektive im Bezug auf mein weiteres Berufsleben. Fünf Tage arbeiten, zwei Tage frei und zwischendurch reinquetschen was geht. Seit meinem 16. Lebensjahr bin ich Künstler

und das begleitet mich jeden Tag in Gedanken, wird geplant und irgendwie am Leben erhalten, während ich in drei Schichten (eine Woche Nacht, eine Woche Spät, eine Woche Früh) arbeite. Wer kennt es nicht?

Man schiebt all die kleinen Dinge des Lebens und auch die, die einem sehr wichtig sind wie Freundschaft, Familie, sportliche Aktivitäten und Hobbys immer irgendwo dazwischen.

Wie lange sollte es noch so weitergehen? Man oder besser gesagt ICH war ständig in Eile.

Ich hatte das Gefühl immer irgendwas zu tun zu haben und stets noch irgendetwas zu erledigen. Immer kurz vor knapp und das alles noch kurz bevor ich 14:30 Uhr in der Spätschicht am Band stehe, um bis 22:30 Uhr Ersatzteile zu verpacken. Und wofür das alles?

Um gegen halb zwölf zerschmettert und mit schmerzenden Gliedern auf der Couch zu versacken und nicht mehr die Kraft und den Kopf dafür zu haben, das zu tun was mich glücklich macht.

Eine Zeit lang habe ich es noch ausgehalten. Ich war Mitte / Ende zwanzig. Doch heute, an meinem ersten selbstbestimmten Wochentag, bin ich 34 und trete schon mal mit einem Bein aus dieser Tretmühle heraus.

Jeder Mensch dem ich von meinem Vorhaben erzählt habe, konfrontierte mich direkt mit den gleichen Sätzen :

„Also wenn du mit dem Geld klar kommst..."

„Denkst du denn gar nicht an deine Rente?“

„Wirst du dich denn nicht langweilen an den zwei Tagen?“

„Was ist wenn du irgendwann Kinder bekommst?“

Ich wollte nicht so denken, doch fragte mich was mit den Menschen oder vielleicht mit mir nicht stimmt?!

Oder warum genau ICH aus dem Raster falle.

Wo ist euer Weitblick? Besteht euer Leben und euer Denken wirklich nur aus den üblichen Standards wie Auto, Haus, Kinder, zwei Wochen Urlaub im Jahr und einer guten Rente?

Wo sind eure Träume und Wünsche?

Ich war verwirrt!

Sollte ich vielleicht neidisch sein auf diese Einfachheit des Lebens?

Viel dachte ich darüber nach und bemerkte bald, dass ich mich nur vergleiche. Menschen sind nun mal verschiedene Individuen und nur ein kleiner Teil wünscht sich etwas anderes.

Ah wie weit ich da nur daneben lag...

In dem Jahr seit ich den Teilzeitantrag abgegeben habe und dieser genehmigt wurde, haben mich viele Kollegen angesprochen und ich habe mich mit vielen anderen Menschen über dieses Thema unterhalten.

Und über all den vielen Worten, steht eines, das was wirklich über allem steht und uns daran hindert es anzupacken und uns zu trauen.

ANGST!

Es ist die Angst vor Veränderung! Aber ist es nicht genau das was unser Leben interessant macht? Schon Kleinigkeiten im Alltag können sensationelle Auswirkungen auf unser Dasein haben. Gerade in Zeiten von Social Media kann eine Abstinenz vom Smartphone, für nur wenige Minuten am Morgen, deinen ganzen Tag bereichern.

Ein kleiner Spaziergang im Wald, nach Feierabend, gibt dir wieder Luft zum atmen und macht die Gedanken frei.

Einfach etwas zu tun, was du zuvor noch nicht gemacht hast lässt sofort ein Gefühl von Raum entstehen und man sieht die Welt mit anderen Augen.

Diese Worte sagen und schreiben sich sehr leicht, doch sie umzusetzen, wie klein diese Schritte auch scheinen, ist sehr schwer.

Genau das war einer der Gründe, warum ich finanziell einen Schritt zurücktrete, um wieder mehr Freiheit zu haben. Geld bedeutet in Stücken auch Freiheit, aber zum Schluss kommt es immer darauf an wie man Freiheit definiert und für mich ist es „Zeit zu haben“.

Allein dieser Moment, an diesem besagten Montag Morgen, bedeutet Freiheit.

Niemand sitzt mir im Nacken und verlangt etwas von mir. Ich hab mir vorgenommen meinen ersten Blogeintrag an diesem Tag zu schreiben, ohne Druck und ohne jemandem etwas beweisen zu müssen. Ich habe immer gerne geschrieben und bin just in diesem Moment einfach nur dankbar.

Ich bin sogar dankbar für den Job, der mir soviel Raum zum Leben genommen hat

und ihn mir jetzt zurückgibt, mit der Möglichkeit, mit Anfang 30, etwas Neues zu beginnen.


Igor Kamens

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